Diese Veranstaltung ist Teil des RECET Festivals der Geschichts- und Sozialwissenschaften "Migration & Transformation".
Ort: Campus der Universität Wien („Altes AKH“), Festival-Zelt in Hof 1
Position des Zelts: https://goo.gl/maps/8FjYQNtdnaUiKCcs6
Während des Kalten Krieges führte der Weg aus der Sowjetunion nach Europa durch Wien – oder „durch die Vene”, wie es humoristisch-doppeldeutig auf Russisch hieß. Dieser Ausdruck symbolisierte die schwierige Reise vom Sowjetblock in den Westen. Dennoch begaben sich ab den 1970er-Jahren sowjetische Juden und – damals noch in geringerer Zahl – sowjetische Deutsche (auch bekannt als Russlanddeutsche) auf diese Reise und suchten ein neues Leben in Europa, Israel und den Vereinigten Staaten.
Deutschland wurde ab Ende der 1980er-Jahre zum Ziel von über zwei Millionen Russlanddeutschen und über 200.000 russischsprachigen Juden aus der (bald ehemaligen) Sowjetunion. Ihre Ankunft war oft mit Entbehrungen und Diskriminierung verbunden, aber nach und nach entdeckten sie die sogenannten „blühenden Landschaften“ in Deutschland, sowohl im Osten als auch im Westen. Sie trafen auf andere Migrantengruppen, die nach Deutschland gekommen waren, und sie trafen auch aufeinander - getrennt durch ihre Herkunft und historische Erfahrungen, aber vereint in der Migration und durch die russische Sprache.
Doch auch in Österreich haben diese Menschen ihre Spuren hinterlassen. Russischsprachige Juden, die nicht nach Israel oder in die USA auswandern wollten, blieben schon seit den 1970er-Jahren in Wien und gestalteten das jüdische Leben der Stadt aktiv mit. Andere kamen in den 2000er-Jahren aus Israel oder Deutschland nach Österreich und trugen zum jüdischen Leben bei.
Wie sieht das Leben der postsowjetischen Juden und Deutschen heute aus, gut 35 Jahre nach dem Ende der Sowjetunion? Welche Herausforderungen, Chancen und Lebensbedingungen prägen ihre Erfahrungen heute? Wie beeinflussen Identitätsfragen ihr Leben und ihre Interaktionen innerhalb dieser Gesellschaften? Und wie wirkt sich der lange Schatten von Putins Russland und seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine auf ihr Dasein aus?
Auf diesem Panel werden Expertinnen und Kulturschaffende diskutieren, wie sich die zeitgenössische Politik, Antisemitismus und anti-osteuropäischer Rassismus auf diese Gruppen auswirken und wie diese Gemeinschaften angesichts der ständigen Herausforderungen reagieren, sich anpassen und ihre Identität behaupten.
Das Panel wird moderiert von Alexander Schneidmesser (RECET).
Karen Körber leitet den Bereich für jüdische Gegenwartsforschung am Institut für die Geschichte der deutschen Juden in Hamburg. Sie studierte Soziologie, Politikwissenschaften und Psychologie an der Universität Bremen, der Freien Universität Berlin und der Columbia University, New York. 2012 war sie die erste Fellow am Jüdischen Museum Berlin, 2015 war sie Vertretungsprofessorin am Institut für Europäische Ethnologie/Kulturwissenschaft an der Philipps-Universität Marburg. Ihre Arbeitsschwerpunkte umfassen die jüdische Migrationsgeschichte nach 1945, Erinnerungskulturen, religiösen und kulturellen Wandel und die Antisemitismusforschung. Derzeit ist sie Verbundleiterin des BMBF-Forschungsverbunds »Antisemitismus in pädagogischen Kontexten« und Leiterin des Forschungsprojekts »Blind Spot: Die Erinnerung an den Holocaust in der Ukraine in der deutsch-jüdischen Erinnerungskultur« (Alfred Landecker Foundation).
Yulia Mashkovich wurde in Moskau geboren und lebte dort bis zu ihrem 15. Lebensjahr. 1991 übersiedelte sie gemeinsam mit ihrer Mutter nach Israel, wo sie Kunstgeschichte in Jerusalem studierte und ihr Studium mit einem Masterabschluss abschloss. 2008 zog sie nach Wien. 2015 begann sie als Promoterin und Booker im Wiener Club Kramladen zu arbeiten. In Israel war sie von einem kreativen Umfeld umgeben – Musiker:innen, Maler:innen, Keramiker:innen und andere Künstler:innen. In Wien knüpfte sie an diese Erfahrungen an: Sie lud befreundete Musiker:innen zu Auftritten ein und organisierte Konzerte in Wien sowie in anderen europäischen Städten. Gleichzeitig brachte sie russischsprachige Bands aus Österreich, Russland und der Ukraine für Tourneen nach Israel. Heute ist Yulia eine zentrale Figur im kulturellen Leben der russischsprachigen Community in Wien und darüber hinaus. Sie organisiert regelmäßig Veranstaltungen – Konzerte, Performances und Vorträge für Kinder und Erwachsene –, meist in russischer Sprache. Monatlich finden etwa drei bis fünf Events statt, bei denen Künstler:innen aus der ehemaligen Sowjetunion auftreten, die heute über die ganze Welt verstreut leben.
Ira Peter ist freie Journalistin unter anderem für ZEIT online, taz, Frankfurter Rundschau und SWR Radio. Als Deutsche aus Kasachstan setzt sie sich seit 2017 öffentlich wie im Aussiedler-Podcast „Steppenkinder" mit russlanddeutschen Themen auseinander. Peter wurde mehrfach für ihre Arbeit ausgezeichnet, unter anderem 2022 mit dem „Goldenen Blogger Award" für ihren Blog, den sie als Stadtschreiberin von Odessa 2021 geführt hatte, 2022 mit dem russlanddeutschen „Kulturpreis des Landes Baden-Württemberg" für „Steppenkinder" und 2023 mit dem „Recherchepreis Osteuropa" für ihre Recherche zu Frauen mit Behinderungen in Armenien. Im März 2025 erschien ihr erstes Buch Deutsch genug? Warum wir endlich über Russlanddeutsche sprechen müssen (Goldmann Verlag)
Hanna Veiler wurde 1998 in Belarus geboren, wo sie schon in jungen Jahren mit den Geschichten ihrer Familie über den Holocaust und den Antisemitismus in der Sowjetunion sozialisiert wurde. 2005 zog ihre Familie in eine süddeutsche Kleinstadt, in der Veiler als „meistens einzige jüdische Person in jedem Raum" aufwuchs. Nach einem freiwilligen Jahr in Israel studierte Veiler ab 2018 Kunstgeschichte, Französisch, Friedensforschung und Soziale Arbeit in Tübingen, Paris, Costa Rica, Erfurt und Heidelberg. Während ihrer Studienzeit wurde sie im jüdischen Studierenden-Aktivismus aktiv. 2019 war sie Mitgründerin der Jüdischen Studierendenunion Württemberg und diente zwei Jahre als deren Vorsitzende. Von 2021 bis 2025 war sie Vizepräsidentin und Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD). Außerdem ist Veiler seit 2023 Vizepräsidentin der European Union of Jewish Students (EUJS). Nebenbei arbeitet sie als politische Bildnerin und publiziert zu jüdischem Leben, Erinnerungskultur und Antisemitismus in unterschiedlichen Zeitungen wie Zeit Online, FAZ, taz und der Jüdischen Allgemeinen. 2024 wurde sie von der Europäischen Bewegung Deutschlands als „Frau Europas" sowie von der Bundeszentrale für Politische Bildung als „Botschafterin für Demokratie und Toleranz" ausgezeichnet. Im Rahmen ihrer Präsidentschaft war Veiler, vor allem nach dem 7. Oktober, medial stark präsent und unter anderem bei Markus Lanz zu sehen.
Alexander Schneidmesser studierte Osteuropastudien an der Universität Potsdam und an der Hebräischen Universität Jerusalem. Von 2016-2022 arbeitete er am Internationalen Institut für Holocauststudien in Yad Vashem. Seit 2022 promoviert er am RECET zur gegenseitigen Wahrnehmung von Russlanddeutschen und postsowjetischen Juden in der Bundesrepublik Deutschland.